Nachbesprechung: Der Nachtmahr

Der Nachtmahr

In der just erschienenen Folge von Über Pop hat Fabian Thomas den Film Der Nachtmahr von AKIZ vorgestellt. (Versprochen, dass waren jetzt erstmal genug Links in einem Satz.) Zu meiner Freude hatte ich festgestellt, dass der Film auch in Köln, wenn auch in einem mir bisher unbekannten Kleinstkino, zu sehen war, und habe ihn mir direkt nach Upload des Podcasts angesehen – und ich bin zwar nicht enttäuscht, aber bei weitem nicht so begeistert wie Fabian.

Zunächst mal finde ich grundsätzlich gut, dass es den Film gibt. Ich finde die Tatsache, dass er unabhängig jeglicher (öffentlicher) Filmförderung produziert wurde, auch ziemlich beeindruckend. Ich finde Teile des Films extrem gut gelungen und visuell beeindruckend. Ich finde, die Hauptdarstellerin Carolyn Genzkow leistet hervorragende Arbeit. Hat der Film aber genug Substanz über seine knapp 90-minütige Laufzeit zu tragen? Ich finde nicht. Wenn man sucht, findet man in Der Nachtmahr einen sehr, sehr guten Kurzfilm von rund 30 Minuten. Dazwischen gibt’s leider zu viel über verständnislose Eltern, die leider papierdünn und transparent geschrieben sind und auch leider nicht sooo gut gespielt sind (ist aber auch schwierig, wenn die Figuren solche Klischees sind). Auch zu viel ist die Storyline über Psychotherapie und Psychopharmaka, die fast schon wirken wie Scientology-Propaganda. Die Besetzung des Wilson Gonzales Ochsenknecht hat mich überraschenderweise nicht allzu sehr gestört, abgesehen davon, dass sein halbwegs bekanntes Gesicht leicht zur Illusionsstörung führen kann. Als Plus kann man verzeichnen, dass sein Gesicht mit Wohlwollen oder vielleicht dem Gegenteil als visuelle Parallele zur Titelgestalt gesehen werden könnte.

Der Nachtmahr, das Titel gebende Wesen, ist einer der großen Pluspunkte des Films. Ich weiß nicht, wie viel davon mit Puppentrick und wie mit CGI gemacht wurde, aber es sieht meiner Meinung nach hervorragend aus und passt super in die Optik des Film. Offenbar war eine Skulptur von AKIZ, der auch als bildender Künstler arbeitet, die Keimzelle des Films.

Womit Fabian Recht, meiner Meinung nach, hat ist, dass Der Nachtmahr kein Horrorfilm ist. (Obgleich manch einer den Film vielleicht als solchen „verkaufen“ will.) Es ist vielleicht ein Grusel-Stoff, aber kein Gruselfilm. Der Nachtmahr hat tatsächlich Anwandlungen der klassischen Phantastik, mit dem Einbruch des Übernatürlichen, des Unheimlichen in die Realität und damit die Infragestellung derer. Also, was ist echt? Was nicht? Das ist überwiegend gut und Grund genug, dass man sich den Film ansehen sollte. Allein um zu unterstützen, dass solch ambitionierte Filme weiterhin gemacht werden. Vielleicht ja sogar von AKIZ, den laut der offiziellen Website, ist Der Nachtmahr nur der erste Teil einer Trilogie, pardon, eines Triptychons (namens“Geburt-Liebe-Tod“).

Es folgen: Spoiler, auch für Lost Highway und E.T.

Der Film ist eindeutig von David Lynch, insbesondere Lost Highway inspiriert. Fast schon frage ich mich, ob Tina selbst das Auto fährt, dass sie am Anfang überfährt (oder eben nicht). So wie Bill Pullman an der eigenen Haustür klingelt oder eben nicht. Das verstörende von Lynch vermischt sich aber interessanterweise mit klaren Anspielungen an E.T. von Steven Spielberg. Auf der Kommode zwischen lauter Kosmetika stehen nämlich sage und schreibe drei verschiedene Figuren oder Büsten des putzigen (?) Außerirdischen. Das Verhältnis zwischen Tina und dem Nachtmahr ähnelt auch Elliott und seinem Gast. Fast schon symbiotisch ist das Verhältnis. So wie Elliott in der Schule betrunken wird, wenn E.T. zu hause Bier trinkt, empfindet Tina Schmerzen wenn der Nachtmahr angegriffen wird. Oder blutet, wenn dem Nachtmahr in diesem seltsamen Labor / Krankenhaus eine Kanüle in den Arm gesteckt wird. Ist der Nachtmahr eine Verkörperung von Tinas Schattenseite, ihres Unterbewusstseins? Ist die Fresssucht die Verkörperung einer Essstörung? Und überhaupt: ist der Nachtmahr real oder nicht? Da entscheidet sich der Film zwischendurch, nur um diese Entscheidung danach wieder zu ignorieren.

Der Film endet mit einer groß gemeinten Sequenz des „Empowerment“, wenn Tina den Nachtmahr akzeptiert und eine Art Coming Out feiert. Auf ihrer Geburtstagsfeier, die offenbar ohne sie ihren Freunden viel mehr Freude bereitet. Danach steigt sie wieder ins Auto und verabschiedet sich in die Nacht. Und ich bleibe ein bisschen ratlos zurück.